Auch Anne Schönell (EF) ist wieder da und schreibt über ihre Zeit im Evergreen State.
Als ich das erste Mal über einen Auslandsaufenthalt nachgedacht habe, war ich 10 Jahre alt. Doch der Gedanke wurde am Ende der achten Klasse in die Tat umgesetzt. Damals hatte ich mich nämlich bei meiner Organisation „Taste” beworben und wurde auch schon kurze Zeit später mit der Nachricht, dass eine Gastfamilie für mich gefunden wurde, überrascht. Ich war total aufgeregt, als ich gehört habe, dass ich in den Westen der USA, nämlich nach Washington State komme. Bevor ich mich dann im Sommer 2014 auf den Weg gemacht habe, gab es noch ziemlich viele organisatorische Dinge zu regeln, und nach einem mehrtägigen Vorbereitungsseminar in Hannover waren dann alle Wege für ein High School Jahr in den USA frei.
Die Ankunft
Ende August bin ich alleine von Düsseldorf über Amsterdam und Seattle nach Bellingham geflogen, und wurde dort von meiner Gastfamilie empfangen. Sie wohnen in Nooksack, das ist eine kleine Stadt im Nordwesten von Washington State, sehr nah an der kanadischen Grenze. Die erste Woche nach meiner Ankunft hatte ich noch Ferien und hatte so die Möglichkeit, noch echt viel zu erleben. Ich war mit meinen Großeltern wandern, shoppen und in Kanada. Außerdem hat meine Gastfamilie mich an meiner High School angemeldet, ich habe mir die Herbstsportart Langlauf ausgesucht und mir die ganzen amerikanischen Schulsachen besorgt.
Einleben
Am Anfang viel es mir nicht immer leicht, von meiner Familie getrennt zu sein. So hatte ich zum Beispiel in die ersten Wochen ein wenig Heimweh. Sobald ich aber mit beiden Beinen auf dem amerikanischen Boden stand und mit der Sprache auch etwas selbstsicherer geworden bin, viel mir das Einleben gar nicht mehr so schwer und neue Freundschaften waren schnell geschlossen. Außerdem habe ich nach den ersten drei Monaten angefangen, auf Englisch zu denken und zu träumen. Anfangs war es etwas ungewöhnlich, doch dadurch, dass ich immer englische Bücher gelesen habe und sogar mein Tagebuch auf Englisch geschrieben habe, war es für mich wie im Deutschen. Sogar jetzt träume und denke ich ab und zu noch auf Englisch.
Die Gastfamilie
Meine Gastfamilie bestand aus meinen Gasteltern Rachel und Tim und meiner 12-jährigen Gastschwester Sarah. Sie haben viel mit mir unternommen und mir sehr viel von Washington State gezeigt, allerdings habe ich mich dort nicht besonders wohl gefühlt. Wir hatten sehr unterschiedliche Ansichten von einem Zusammenleben und ich habe mich nicht wie in einer Familie gefühlt, sondern immer so, als würde ich nicht wirklich dazu gehören. Darum habe mich Ende des ersten Semesters dazu entschlossen, die Gastfamilie zu wechseln. Das war zwar eine sehr schwierige Entscheidung, die ich ganz alleine treffen musste, allerdings kann ich jetzt sagen, dass es die richtige war.
Im Januar durfte ich dann in meine neue Gastfamilie, zu den Murphys, ziehen. Sie bestand aus meinen Gasteltern Mindy und Kevin, meiner 16-jährigen Gastschwester und besten Freundin Amy und meiner 19-jährigen Gastschwester Caroline, die allerdings schon auf dem College war und deren Zimmer ich während meines Aufenthaltes bewohnen durfte.
Die Kirche stand für meine Gastfamilie im Vordergrund, und jeden Sonntag waren wir gemeinsam im Gottesdienst. Das ist aber in den USA ganz anders als hier in Deutschland. Dort wird sehr moderne Musik gespielt, begleitet von Instrumenten und Sängern. Außerdem hatten wir morgens „Sunday School” und haben dort mit unserer Jugendgruppe christlichen Unterricht gemacht. Diese „Youth Group” habe ich auch jeden Mittwoch mit Amy besucht und wir haben immer Spiele gespielt oder gemeinsame Ausflüge gemacht. Mit meiner neuen Gastfamilie habe ich dann in Everson gewohnt, dass ist direkt neben Nooksack und hat ca. 2000 Einwohner. Außer mir wohnten bei den Murphys auch der Hund Izzy und zwei Katzen, Bandet und Franky.
Die Schule
Mit dem gelben Schulbus bin ich jeden Morgen zur Nooksack Valley High School gefahren. Auf die Schule gehen 400 Schüler in die Klassen 9 - 12, da dies quasi die Oberstufe für das amerikanische Schulsystem ist. Jeden Tag hatten wir den gleichen Stundenplan bestehend aus sechs Kursen. Ich hatte zum Beispiel English, Algebra 2 (Mathe), US History (Geschichte), Foods (Ernährungswissenschaften), Fit for Life PE (Sport) und Studio Arts (Kunst). Die Schule ging täglich von 7:45 Uhr bis 14:15 Uhr. Jeden zweiten Mittwoch hatten wir „Late Arrival”, also erst um 10 Uhr Schule.
Nach dem Unterricht hatte man die Möglichkeit, Sport zu treiben oder sich in sozialen Clubs zum Beispiel für die Umwelt oder für neue Attraktionen an unserer Schule zu engagieren.
Unsere Schulfarben waren lila, weiß und schwarz. Im Herbst traf man sich jeden Freitag auf dem Football Feld, wo dann American Football gespielt wurde. Der „Schoolspirit”, also der schülerische Zusammenhalt, ist in den USA echt groß; jeder schaut sich die Spiele der Schulmannschaft an und fiebert fleißig mit. Die „Cheerleaders” sorgen für Stimmung und feuern die Schüler und Spieler an.
Außerdem hatten wir zweimal „Spirit Week”, in der man sich jeden Tag anders verkleidet hat und dann zum Beispiel als Superheld oder im Schlafanzug zur Schule gekommen ist.
Wir hatten auch große Schulbälle, „Tolo” und „Prom”. Dafür hat man meistens ein Date, also man wird als Mädchen von einem Jungen gefragt, ob man mit ihm zum Tanz gehen möchte, und zieht sich schöne Kleider an. Wochen vorher wird darauf hin gefiebert und wenn es dann endlich so weit ist, geht man mit Freunden und den Dates Essen und nachher gemeinsam zur Party. Ich bin zweimal mit Amy, mehreren Freunden und meinem Date Adrian zum Tanz gegangen.
Am Ende des Jahres gab es auch „Yearbooks”, ein Buch über das gesamte Schuljahr, mit tollen Bildern, Geschichten und Erinnerungen an das vergangene Schuljahr. Dadurch, dass meine Schule etwas kleiner war, hatten alle Schüler und Lehrer ein sehr gutes Verhältnis zueinander.
Außer mir gab es noch eine andere Austauschschülerin, Paula aus Brasilien. Sie ist nur für ein Semester geblieben, aber wir beide hatten trotzdem schöne Zeiten und waren innerhalb einer kurzen Zeit schnell enge Freunde.
Meine Freizeit
In meiner Freizeit habe ich sehr viel Sport getrieben. Im Herbst habe ich mich für “Cross Country” (Langlauf) entschieden. Wir waren jeden Tag 8-12 Kilometer rennen und am Anfang war es echt schwer mit den anderen, die schon seit Jahren im Training waren, mitzuhalten. Aber im Endeffekt hat es echt nicht lange gedauert, bis ich auch in Form war. Wir hatten dann zweimal die Woche 5-Kilometer-Wettkämpfe durch Wälder, Wiesen und Berge. Das hat total viel Spaß gemacht und neben dem Training habe ich auch eine sehr enge Bindung zu meinem Team aufgebaut.
Im Winter war ich weiterhin sehr oft mit meinem Team rennen, obwohl es nicht mehr in der Saison war. Außerdem habe ich Hip Hop getanzt und einen Skikurs auf dem Mount Baker gemacht.
Meine Tanzgruppe war sehr nett, und auch da habe ich gemerkt, wie viel Spaß es macht neue Leute kennen zu lernen und auf Menschen zuzugehen. Ende März hatten wir unsere großen Aufführungen und haben in goldenen Kostümen täglich drei Mal auf der Bühne gestanden.
Beim Ski fahren hatte ich so viel Spaß, wie ich mir nie hätte vorstellen können! Das Wetter auf der Piste war wunderschön und mit meiner Skigruppe waren wir sehr oft im Hinterland und sind durch enge Felsschluchten und Tannenwäldern über Hindernisse gesprungen.
Anfang März fing außerdem die Leichtathletiksaison „Track and Field” an. Wieder haben wir täglich trainiert und sind gelaufen. Wir hatten dann genau wie beim Cross Country sehr viele Wettkämpfe und sind oft mehrere Stunden zu anderen Stadien gefahren. Für jede Sportart haben die Amerikaner außerdem ein ganz besonderes Ziel: „State”. Das sind die Landesmeisterschaften für jeden einzelnen Staat. Davor gibt es noch „Sub-Districts” und „Bi-Districts”. Die Aufregung und Anspannung wird dadurch natürlich immer höher, doch mir hat der Adrenalinkick gefallen.
Dadurch, dass ich von Anfang an immer mit vielen Leuten zusammen Sport getrieben habe, hatte ich schnell eine Gruppe von Freunden, mit denen ich über das ganze Jahr meine Freizeit gestaltet habe. Anfangs war es nicht ganz einfach, in eine Gruppe von Menschen zu kommen, die sich schon seit dem Kindergarten kennen, doch es fordert Bemühen, Offenheit und Kontaktfreude, und schon steht der Weg zu neuen Bekanntschaften offen.
Ausflüge
Während meines Jahres war ich mehrmals in der wunderschönen Stadt Seattle. Das war immer besonders toll und – egal ob mit Freunden oder meiner Organisation – es hat mir sehr viel Spaß gemacht.
Für die Landesmeisterschaften in Cross Country und Track and Field war ich außerdem in Pasco und Spokane, was gemeinsam mit meinem Team immer sehr schöne Erinnerungen waren.
Kurz vor Weihnachten war ich mit meiner Gastfamilie in Leavenworth, einer bayrischen Stadt in den Bergen. Dort war es genauso wie in einem kleinen Dorf in Bayern und ich habe mich mit dem deutschen Essen fast wie zuhause gefühlt.
Nach Weihnachten bin ich mit meiner Organisation für acht Tage nach New York City geflogen. Das war ein ganz besonderes Erlebnis! Ich habe nämlich meinen „Sweet 16”, also meinen 16 Geburtstag und Silvester dort gefeiert. Wir haben so viele Sachen erlebt und gesehen und es war einer der besten Eindrücke meines gesamten Jahres!
Mit meiner Gastfamilie habe ich im Winter in Oregon, dem Staat südlich von Washington, meine Gastschwester im College besucht.
In den Sommerferien sind wir zusammen nach Idaho, dem Staat neben Washington, gefahren. Dort waren wir in „Silverwood”, einem großen Freizeitpark. Es war unglaublich heiß, aber wir hatten echt eine tolle Zeit!
Ganz zum Schluss, und auch schon kurz bevor ich zurück nach Deutschland geflogen bin, war ich acht Tage mit einer Jugendgruppe im North Cascade National Park wandern. Dort gibt es türkisfarbene und kristallklare Seen, wunderschöne Berge und einen atemberaubenden Tannenwald. Wir waren nur in der Natur unterwegs und haben jede Nacht in der Wildnis gezeltet. Eine unvergessliche Zeit!
Der Abschied
Aller Abschied fällt schwer, auch als ich meiner Gastfamilie am Flughafen Tschüss sagen musste, konnte ich erst gar nicht richtig fassen, sie erstmal für eine lange Zeit zu verlassen. Außerdem hatten sie ein paar Tage vor meinem Rückflug noch eine Überraschungs-“Goodbye Party” veranstaltet. Alle meine Freunde und sogar meine Gastgroßeltern kamen zu Besuch um sich von mir zu verabschieden. Besonders vermisse ich Amy, aber wir sind uns ziemlich sicher, dass wir uns wiedersehen werden.
Organisation
Meine Organisation „Taste” war in den USA mit der Partnerorganisation „CHI” verbunden. Dort gab es auch eine Koordinatorin vor Ort, dich sich monatlich mit mir in Verbindung gesetzt hat und die für Probleme meine Ansprechpartnerin war. Außerdem habe ich mit meiner Organisation zusammen Ausflüge gemacht und dadurch Austauschschüler aus der ganzen Welt kennen gelernt.
Fazit
Ein Auslandsjahr würde ich immer wieder machen und auch jedem empfehlen! Es war bis jetzt eine der besten Entscheidungen in meinem Leben und ich habe Erfahrungen gemacht, die mir nie einer nehmen wird. Sich ganz alleine auf eine fremde Kultur und fremde Menschen einlassen zu müssen, ohne direkte Unterstützung von vertrauten Personen, und mit schwierigen Situationen und Problemen alleine klar zu kommen, ist eine Herausforderung. Dadurch wächst man und wird reifer, was für den weiteren Lebensweg nur von Vorteil ist. Ich finde zum Beispiel, dass ich viel selbstständiger und selbstbewusster geworden bin.
Ein anderer Vorteil ist natürlich auch, die englische Sprache nach einem Jahr wirklich gut zu beherrschen.
Und nicht zuletzt, die vielen netten Kontakte und Orte, die ich während meines Aufenthaltes kennen gelernt habe. Viele Freunde und meine Gastfamilie werden sicherlich für immer mit mir in Kontakt bleiben, und so habe ich mir innerhalb von einem Jahr ein zweites Leben aufgebaut.
Für alle Interessierten habe ich im Laufe meines Jahres einen Blog geschrieben: http://annegoesabroad14.blogspot.de
Bilder
Die Bilder zeigen 1.) mich vor meiner Schule, 2.) die typisch amerikanischen Schulbusse, 3.) American Football an meiner High School, 4.) mein Cross Country Team, 5.) die Backpacking Beavers auf einer 50-KM-Tour durch den North Cascade National Park, 6.) eine Freundin und mich beim Wandern, 7.) mich beim Ski fahren, 8.) die Freiheitsstatue, 9. ) eine Broadway-Show in New York, 10.) das Gebäude der United Nations von innen, 11.) meine Gastfamilie und mich vor dem Grand Coulee Damm in Eastern Washington und 12.) mich vor der Gum Wall in Seattle.
Anne Schönell (August 2015)